Liste der Anhänge anzeigen (Anzahl: 1)
Der Siechenhof und die Siechenhofkapelle
Die Siechenhofkapelle St. Pankratius in Goslar
Einführung:
Die ursprünglich dem Heiligen Pankratius geweihte Kapelle bildete das Zentrum einer Anlage mit kleinen Häusern, von denen eines erhalten ist und vermutlich einigen Holzhütten der an Lepra erkrankten Bettler.
Lepra ist eine der ältesten bekannten Krankheiten und bereits auf alten ägyptischen Papyri genannt. Menschen die daran erkrankten wurden aus Angst vor Ansteckung aus der Gesellschaft ausgeschlossen – ausgesetzt -, was zu der alten Bezeichnung „Aussatz“ für diese Krankheit führte. Durch Bakterien ausgelöst, befällt und zersetzt Lepra zunächst die Haut und Schleimhaut des Erkrankten und später die Nervenzellen. Sie führt zu schweren Verstümmelungen und über Sekundärinfektionen zum Tod. Sie stellt bis heute in den Entwicklungs- und Schwellenländern eine ernste Bedrohung mit mehreren hundertausend Betroffenen dar, während sie in den modernen Industrieländern als ausgestorben gilt.
Bereits im 6. Jh. machte man sich Gedanken, wie man mit diesen Menschen umgehen könnte und man baute vereinzelt erste Leprosorien.
Im 13. Jh. wurde begünstigt durch die aufblühende Wirtschaft in vielen Städten, besonders in der Hanse, der Gedanke wieder aufgegriffen und die meisten Bischoffs- und Hansestädte erhielten Leprosorien, die außerhalb der Stadtmauern, oft in der Nähe von Hinrichtungsstätten angelegt wurden.
Gründung des Siechenhofes in Goslar
Erstmalig erwähnt wird das Goslarer Leprosorium im Jahr 1265, wobei nicht klar ist, in welcher Form es damals bestand, ob nur aus einer Ansammlung von Hütten oder bereits mit festen Unterkünften.
Im Findbuch 4 des Stadtarchives findet man zum 25. Mai 1295 folgenden Eintrag:
„Der Ritter Burchard von Berwinkel schenkt um Gottes Willen auf Bitten der Rathsherren zu Goslar zu seinem und aller seiner Verwandten Seelenheil den Siechen von der Stadt, damit dieselben sammt und sonders von dem Allerhöchsten ihm zur Huldigung verpflichtet sind, die Vogtei über eine Hufe im Felde zu Schlanstede, die dem Ritter Jordan Harre von ihm zur Lehn trug. /Actum et Datum/“Die Stiftung beinhaltete ein doppeltes Gebäude nämlich ein Siechenhaus, und eine Kapelle die als „ecclesia S.Pancratii“, im Jahr 1342 urkundlich belegt ist. Von Anfang an unterstand die Verwaltung „dem Rathe der Stadt“.
Das einzige aus der Zeit erhaltene Gebäude ist das kleine, südwestlich von der heutigen Kapelle stehende Siechenhaus, in dem einige Zeit ein Restaurant untergebracht war und das heute wieder als Wohnhaus genutzt wird. Belegt ist auch im 14. Jh. ein Gasthaus nebst Herberge, der „Pockenkrug“ in der Nähe.
Die Anlage stand (und steht) typisch für die Zeit unmittelbar in der Nähe des Hochgerichts am Nordrand der Landwehr und in der Nähe der Straße zum breiten Tor. Die Aussätzigen hatten das ausdrückliche Recht für ihren Lebensunterhalt zu Betteln und die „Hauptverkehrsstraße“ bot die Gelegenheit dazu. Der direkte Kontakt mit den Kranken wurde allerdings vermieden und die Kranken mussten durch Geräusche, klappern und rufen auf sich aufmerksam machen.
Geschichtliche Schlaglichter aus der frühen Neuzeit
In den nächsten Jahrhunderten gibt es nur vereinzelte Berichte und Dokumente in denen der Siechenhof erwähnt wird. Manchmal bleibt auch nichts anderes übrig, als aus der Nichterwähnung bei besonderen Ereignissen Schlüsse zu ziehen.
Als im Jahr 1527 die Goslarer Bürger auszogen und die Klöster und Kirchen in der Nähe der Stadt zerstörten blieb der Siechenhof erhalten. Vermutlich profitierte der Siechenhof davon, dass er außerhalb der Goslarer Landwehr stand, unbefestigt war und vor allem durch seine Lage im Tal keine besondere strategische Bedeutung hatte.
Bartholdt Bethmann, ein angesehener und wohlhabender Goslarer Bürger, stiftete im Jahr 1567 dem städtischen Siechenhaus eine jährliche Rente.
Im Jahr 1588 findet die Siechenhofordnung Erwähnung in der die Angelegenheiten um die Stiftung Siechenhof geregelt sind. Das Dokument selbst ist leider nicht erhalten.
30 Jahre später im Jahr 1618 wird die (überarbeitete) Siechenhofordnung verlesen und festgelegt, dass jeden Donnerstag Gottesdienst gefeiert wird.
Wenige Jahre später, 1639, wollten die Goslarer den Siechenhof samt Kapelle „Wegen Schnapphahnen und Schlupfwinkel für Räuber“ zerstören. Warum dies nicht geschah, bleibt uns heute verborgen. Sicher ist, dass im 17 Jh. eine ganze Zeit lang ein schändliches und unordentliches Leben auf dem Siechenhof herrschte. Zeitgenossen erwähnen: „Zorn, Hass, Neid, Fluchen, schmähen, schänden, lästern, fressen und saufen.“
Zum Ende des 17. Jh. war man jedoch wieder zur ursprünglichen Aufgabe zurückgekehrt und der Siechenhof war zum Aufenthalt pesthafter Kranker und reisender Personen bestimmt, die mit Seuchen behaftet waren. Lepra war kein so vorherrschendes Thema mehr. Es mag makaber klingen, aber durch die sehr schlechten hygienischen Bedingungen der Zeit starben die meisten an Lepra Erkrankten innerhalb kürzester Zeit, bevor die Krankheit weitergegeben wurde, weil der durch Aussatz geschwächte Körper mit anderen tödlichen Infektionen angesteckt wurde. Für die Siechenhäuser landauf, landab bedeutete dies aber nur, dass man fortan auch andere infektiöse Insassen bekam.
Nach mehreren Bränden musste die alte Kapelle im Jahr 1750 abgerissen und an neuem Standort auf dem Siechenhofgelände als dreiteiliges Gebäude neu errichtet werden.
Eine Glocke der alten Kapelle wurde 1752 an die Klauskapelle übergeben und befindet sich bis heute im dortigen Geläut. Ihre lateinische Inschrift lautet in die heutige Sprache übertragen: „Ich bin die Tuba Gottes in St. Pankratius; Alpha Omega“. Der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets beziehen sich auf die Aussage von Jesus Christus „Ich bin der Anfang (alpha) und das Ende (Omega). Siehe hierzu folgenden Link, unter Nummer 16: http://www.inschriften.net/goslar/inschrift.html
Die geistliche Versorgung der Kapelle wurde der Pfarrgemeinde St. Stephani übertragen. Äußerlich blieb dieser Bau bis heute nahezu unverändert erhalten.
Das neue Gebäude ist ein schlichter Bruchsteinbau mit Quaderecken und Sandsteineinfassungen. Es hatte Öffnungen vor dem flachen Giebel, sowie einen sechseckigen beschieferten Dachreiter, den eine Wetterfahne mit Goslarer Adler und der Jahreszahl 1752 ziert.
Das Gebäude enthielt einen Flur und 3 Zimmer. Im östlichen Zimmer waren 2 gemalte Wappen und zwar von den Herren:
Andreas Christian Bartels: Senator et Provisor 1757 und
Albrecht Jorrens: Senator et Provisor 1752
„In der Nische über der Eingangsthür im Flur ist eine sitzende Figur Christi aufgestellt, aus Holz, bemalt, unbekleidet, mit Wunden über den ganzen Körper bedeckt. Die Dornenkrone ist als Strick gestaltet, beide Hände sind auf das rechte Knie gelegt.“ (Kunstdenkmäler der Provinz Hannover-Goslar)
Im Jahr 1760 wird der Siechenhof von Immenroder Bauern besetzt, um dort „Rekruten zu fangen“ und 1761 wohnen 21 Personen im Siechenhof.
Schlaglichter der letzten 200 Jahre
1818 und 1820 müssen baufällige Häuser des Siechenhofes abgerissen werden. Bis 1822 ist die Einwohnerschaft auf 22 Familien angewachsen. In der Folge gab es einige bedeutende Schenkungen an die Stiftung, die dazu führten, dass 1848 der zur Verfügung stehende Besitz 49½ Morgen Acker und 12½ Morgen Wiesen umfasste, sowie Hut, Weide und einige Gärten. Ein Hirte wird beschäftigt. Hofmeister und Hofmeisterin führen, wie in der Siechenhofordnung von 1588 beschlossen, den Hof. Jeder Präbendar bekam jährlich 6 Thaler und 8 Groschen Geld. Er hatte Nutzungsrecht eines Gartenteils und bekam Anteil an der Obsternte. Von allen öffentlichen Abgaben war er befreit. Außerdem erhielt der Siechenhof jedes Jahr 20 Malter Tannenholz zum Heizen des gemeinsamen Wohnzimmers.
Im Jahr 1870 wurde die Stiftung aufgelöst und die Gottesdienste eingestellt. Die Gebäude wurden, bereits für 1871 belegt, weiter als Krankenhaus für ansteckende Seuchen genutzt und diese Nutzung bis mindestens zum 1 Weltkrieg beibehalten.
1949 wurde die Kapelle wieder geweiht und erneut in den Pfarrbezirk von St. Stephani aufgenommen. Seit 1951 feiert die Baptistengemeinde von Goslar (Evangelisch Freikirchliche Gemeinde) hier ihre Gottesdienste ( www.efg-goslar.de ) und ist seit 1995 auch Eigentümerin des Grundstückes und der Kapelle, die den Namen „Christuskirche“ bekam und auf der Rückseite mit einem Glasgang an das 1997 neu errichtete Gemeindezentrum angeschlossen wurde. Zur Schaffung der notwendigen Türöffnung wurde in Absprache mit dem Denkmalamt eines der rückseitigen Fenster vorsichtig ausgebaut und ebenerdig unter Verwendung des Originalmauerwerks wieder eingebaut.