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Thema: Goslarer Originale + Anekdoten

Baum-Darstellung

  1. #7
    Schießhauer Avatar von Hanno
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    Standard Der Herr Amtsrichter

    Ich habe da mal für Nachschub gesorgt :



    DER HERR AMTSRICHTER


    Goslarer Originale erwähnen und den Amtsrichter a. D.
    Ferdinand Hirsch vergessen, hieße unvollständig berichten.

    Seine Lebensgewohnheiten erinnern an die schrulligen
    Romanfiguren, wie sie Wilhelm Raabe und Gottfried Keller
    schilderten.
    Der Tagesablauf des Herrn Amtsrichters war bis ins kleinste
    geregelt, wiewohl er Ruheständler war und als Junggeselle
    über seine Zeit frei verfügen konnte. Er lebte in einem
    geordneten Rechtsstaat, also hatte auch sein Privatleben
    nach einem feststehendem Dienstplan abzulaufen. Unordnug
    herrschte nur bei Menschen, die zucht- und planlos lebten.
    Basta!

    Wenn früh morgens die Bäckerjungen ihre Brötchen aus-
    trugen und die Barbiere geschäftig zur Morgenrasur in die
    Bürgerhäuser eilten, wenn die Kirchenuhren die sechste
    Stunde -- schön nacheinander, damit man jede hören konnte
    -- schlugen, erhob sich der Herr Amtsrichter, um sich vom
    Friseurmeister Hinz balbieren zu lassen. Dann zog er das
    für diesen Tag bestimmte Oberhemd und den nur für diesen Tag
    vorgesehenen Anzug an und fuhr in den nur für diesen Tag be-
    stimmten Stiefel, denn er besaß dreißig Anzüge, Oberhemden,
    Nachthemden, Stiefelpaare usw., die jeweils nur an einem
    Tage im Monat getragen wurden.

    Auf Akkuratesse und Sauberkeit bedacht, mußten seine
    Beinkleider täglich gewandt, gelüftet und geklopft werden.
    Bis neuen Uhr frühstückte er mit Behagen, wobei er hollän-
    dischen Tee bevorzugte. Dabei las er die Hildesheimer
    Zeitung, die am Abend zuvor von der Post geholt werden
    mußte. Mit dem Glockenschlage neun schritt der alte Herr
    zum Kabinettchen, das um diese Zeit unbedingt frei zu sein
    hatte. Ein Spaziergang bei jedem Wetter folgte, um den
    Appetit anzuregen. Schlag ein Uhr stand das Mittagsmahl
    auf dem Tisch. Je nach dem täglichen Magenfahrplan gab
    eine aus einem Kilo Bein- oder aus einem halben Kilo
    Rindfleisch gewonnene Suppe, ein großes Stück gut geklopf-
    ten, nicht gespickten Hammelbraten oder ein Sechspfundstück
    Rinderschmorbraten mit Gemüse und guter, ostfriesischer
    Butter. Danach Kompott. Dieses Mittagessen teilte seine
    Hausdame mit ihm, während er morgens und abends allein
    speiste. Jedoch mußte auch bei diesen Mahlzeiten für zwei
    gedeckt werden.

    Bis drei Uhr ruhte Herr Amtsrichter, dann ging es zum
    Kaffeetrinken nach der Bleiche. Punkt sechs Uhr begann das
    Spiel im Klubgarten, und schlag acht setzte er sich daheim
    zum Abendessen nieder. Es gab zwei Schnitten Brot und drei
    Brötchen, von letzteren blieben stets zwei übrig. Die Auf-
    schnittscheiben waren genau abgezählt. Nach dem Abendessen
    rauchte er eine seiner 30 Tabakpfeifen, die fertig gestopft
    zu sein hatte. Bis elf Uhr pflegt er zu lesen, zwischendurch
    aß er zehn Katharinenpflaumen oder zwei Mirabellen, zwölf
    Kirschen, vier Teelöffel Apfelmus von Gravensteinern, je
    nach der Jahreszeit.

    Nach einem Sitzbad von fünf Minuten stieg er unter Ver-
    wendung eines frischen Nachthemdes ins Bett. Da er als
    einstiger Richter mit Spitzbuben zu tun gehabt hatte,
    sicherte eine geladene Pistole seinen Schlummer.

    Die Schrulligkeit des alten Herren ging soweit, daß er
    Ein- und Zweipfennigstücke unter die Tischbeine legte, um
    die Ehrlicheit der Hausangestellten zu prüfen. Natürlich
    wußten das alle Beteiligten und gaben die Pfennige zurück.
    Abends durfte das Personal nicht fortgehen, denn er glaubte,
    es schädige das Ansehen des Hauses. Tagsüber hatten die
    Angestellten jedoch viel freie Zeit, und die Köchin
    erhielt 24 Taler Gehalt. Die Bildung seiner Leute suchte er
    durch wöchentliche Entrichtung einer "Theatermark" zu heben,
    und auf Spaziergängen führte er stets eine Tüte mit Bonbons
    oder Gebäck mit, um sie an Kinder zu verteilen.
    Das Einerlei der Woche wurde am Sonnabend durch Frau
    Ibentals Fußpflege unterbrochen, die ihn, Punkt sieben Uhr,
    von den Hühneraugen befreien mußte.

    An Sonntagen wenn das Personal Ausgang hatte, veran-
    staltete er "Stuben- und Spindrevision". Beschädigtes Ge-
    schirr stellte er auf ein Tablett und legte ein goldenes
    Zwanzigmarkstück dazu, von dem neues Geschir gekauft wurde.
    Seine Einstellung zum Personal war von der damaligen Zeit
    diktiert.
    Als seine Aufwartung, Frau Diener, sich sonntags weigerte,
    mit der Kiepe zum Einkaufen zu gehen, sagte er: "Ihr seid
    Leute der dienenden Klasse, Ihr müßt das tun!"

    Trotz seiner Schrullenhaftgkeit war er gerecht und gut-
    mütig. Unbemittelten Menschen stand er jederzeit unentgelt-
    lich mit Rat und Tat zur Seite und stiftete viel Gutes. Trotz
    seines streng geregelten Lebens als Junggeselle soll er, wenn
    man seinen Zeitzeugen glauben darf, noch Zeit gefunden haben,
    sechs blühenden Kindern das Leben zu schenken.


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    Quelle: "Hier schmunzelt das Dukatenmännchen", Hans W. Ulrich. Goslar 1965.




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    Da ergibt sich doch gleich wieder eine Frage: Wo oder was war der
    "Klubgarten", der offensichtlich der gleichnamigen Straße ihren Namen gab ?
    Geändert von Hanno (11.04.2012 um 09:30 Uhr) Grund: Meine ganz persönliche Rechtschreibreform
    c

    Hannöversche Grüße
    Klaus

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