Goslarer Jäger und der Weihnachtsfriede 1914
Warneton bei Ypern, Weihnacht 1914
Die 4. Kompagnie war etwa um 9 Uhr abends im Graben. Eine wunderbare mondhelle Nacht. Kein Lüftchen regte sich. Leichter Frost lag auf den Fluren. Es fehlte nur noch der Schnee, dann wäre es ein Wetter gewesen, wie für die Heilige Nacht geschaffen. Die rechte Weihnachtsstimmung kam bald auf. Die dauernde Knallerei der Engländer störte nicht. Die Jäger hatten sich kleine Tannenbäumchen mitgebracht. Sie waren entweder aus der Heimat geschickt, oder man hatte sie sich sonstwie zurecht gemacht. Sie wurden mit zahlreichen Lichtern versehen, angezündet und auf die Deckung gestellt. Es dauerte nicht lange, da konnte man, so weit das Auge blickte, überall die brennenden Bäumchen sehen. Hauptsächlich links bei den bayrischen Jägern und weiter bei der sächsischen Infanterie. Es war ein unvergeßlicher Anblick!
„Ich mußte bald mit einigen Kameraden auf Horchposten, und da geschah etwas, woran wohl keiner gedacht hatte. Das Schießen verstummte plötzlich. Die Tommys kamen aber nicht in feindlicher, sondern in freundlicher Absicht. Denn von weitem – wir lagen uns ungefähr 400 m gegenüber – hörte man die Rufe laut in die helle Nacht: „Kamerad, nicht schießen. We are your friends.“
Unsere brennenden Bäumchen mit den vielen Kerzen hatten die Gemüter so bewegt, daß sie kurzerhand aus den Gräben liefen. Unser Hauptmann dachte: Was nun tun? – und lief wie wild im Graben umher. Er glaubte, nun träfe die vorausgesagte Überrumpelung ein und faßte die vielen Rufe als Tricks auf. Auch uns war anfangs sehr eigentümlich zu Mute. Wir waren auf alles gefaßt. Der Hauptmann gab sofort den Befehl zum Schießen. Leuchtkugeln stiegen hoch, und schon sausten verschiedene Kugeln aus unserer Kompagnie dem Tommy entgegen. Doch das Schießen wurde sofort wieder eingestellt, denn das verdächtige Rufen hörte noch immer nicht auf. Im Gegenteil, es wurde noch kräftiger. Unsere Kugeln hatten auch scheinbar nichts angerichtet. So sprang denn kurzerhand unser Oberjäger Echte vom 1. Zuge auf die Deckung und lief zum Drahtverhau, um sich zu überzeugen, was denn eigentlich los sei. Derselbe mußte nun die überraschende Feststellung machen, daß vor dem Drahtverhau eine ganze Reihe Engländer angekommen war, alle ohne Schußwaffen. Nun faßten auch noch mehrere unserer Kameraden Mut uns liefen hinzu. Inzwischen waren noch mehrere Engländer angekommen. Man reichte sich freundschaftlich die Hände und fing ein eifriges Gespräch an, zumal der Oberjäger Echte fließend englisch sprechen konnte. Bei der Gelegenheit wurden sogar Geschenke ausgetauscht. Die Engländer gaben Wurfmesser, Tabak, der Oberjäger bekam sogar eine kurze Pfeife, während von uns Deutschen Zigaretten geschenkt wurden.
Gegen 4 Uhr morgens fing plötzlich bei den Sachsen eine Musikkapelle an zu spielen. Die schönsten Weihnachtsweise erschollen laut in die stille, klare Nacht. Bei diesen heimatlichen Klängen mußte doch einem jeden Kameraden das Herz weich werden. Nach jedem Liede vernahmen wir laute Hurra-Rufe, die von den Engländern kamen.
Auch dort trat bald Ruhe ein, der Tag begann und friedlich war alles ringsumher. Tatsächlich konnten wir getrost außerhalb unseres Grabens spazieren gehen und uns die Gegend erst einmal richtig ansehen, während man sonst wegen der englischen Scharfschützen nicht einen Augenblick den Kopf über die Deckung halten durfte.
Es wurden unsere Deckungen und was sonst nötig tat, in Ordnung gebracht. Der Tommy machte drüben dasselbe.
Vor allem wurden auch die im Felde liegengebliebenen Toten, größtenteils Kameraden des 7. Jägerbataillons, Husaren und auch Franzosen beerdigt.
Am Morgen des ersten Weihnachtstages kam zunächst Jäger Pahl auf den Gedanken, zu den Engländern hinauszugehen. Er teilte mir sein Vorhaben mit. Nach unsere Rückkehr hatte bald der Kompagnieführer, Hauptmann Richter, von unserem Ausflug erfahren und drohte uns strenge Bestrafung an. Der Bataillonkommandeur sah aber später zu unserer Freude von einer Bestrafung ab.“
Die 4. Kompagnie wurde am 2. Weihnachtstage abgelöst.
Aufgeschrieben von Fritz Jung in der Geschichte des Hannoverschen Jägerbataillons 10 nach Berichten der Jäger Lüdemann und Kohlmeyer.
Liste der Anhänge anzeigen (Anzahl: 1)
Unweit dieser Stelle, etwas südlich von Mesen, waren die Goslarer Jäger an dem Weihnachtswaffenstillstand beteiligt. Hier erinnert ein Holzkreuz an das Ereignis.
Liste der Anhänge anzeigen (Anzahl: 1)
In England fand der Weihnachtsfriede große Beachtung, in Deutschland glaube ich eher weniger.
Liste der Anhänge anzeigen (Anzahl: 1)
Die Belgier haben in Mesen ein Denkmal aufgestellt, das an dieses denkwürdige Ereignis erinnern soll.