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Thema: Denkmalschutz und Fensterstreit

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    Schießhauer Avatar von Toni Pepperoni
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    Moin zusammen, es geht munter weiter in dem Streit. Hier ist der Artikel aus der GZ vom 23.02.2022.

    Gruß Toni


    Goslarer Fensterstreit: Ist Unesco-Weltkulturerbe in Gefahr?

    Zur Einordnung des Goslarer Fensterstreits: Icomos-Experte Hartmut P. C. Weidner beantwortet die Frage, ob weiße Fenster das Unesco-Weltkulturebe bedrohen. Hausbesitzer und Denkmalschutz streiten derzeit über Fensterfarben in der Altstadt.

    Goslar. Welterbe und Fensterstreit: Zur Frage der umstrittenen Fensterfarben und -öffnungsrichtungen in der Altstadt hat der zuständige Icomos-Vertreter Hartmut P. C. Weidner auf GZ-Anfrage ein paar Dinge näher erläutert. Die gute Nachricht vorweg: Ein weißes Fenster, das weiß bleibt, ist Weidner zufolge keine Gefahr für den Status der Goslarer Altstadt als Weltkulturerbe. Icomos ist die Berater-Organisation der Unesco und wacht auch über die Erbwürdigkeit der Altstadt.

    „Zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen versichern, dass ein falsch erneuertes Fenster in Goslar ganz sicher den Welterbestatus nicht zum Kippen bringt“, betont der Icomos-Experte. Doch fügt er hinzu: „In der Summe falscher Maßnahmen äußert sich allerdings in solchen Veränderungen auch das Bewusstsein der Bewohner der Stadt Goslar gegenüber der historischen Prägung ihrer unmittelbaren Lebensumwelt.“
    Welterbe: Ohne Zustimmung der Bürger sinnlos

    Ganz wichtig sei auf jeden Fall aber, dass die Bewohner weiterhin zum Welterbe stehen: „Ihre Zustimmung zur Erhaltung der Besonderheit der Altstadt, auch ihre Bereitschaft zu einer besonderen Vorbildfunktion, darf nicht verloren gehen, sonst macht das so stolze Projekt ‚Erhaltung eines Kulturerbes der Menschheit‘ keinen rechten Sinn“, schreibt Weidner.

    Strittig sind zwischen Hauseigentümern und Denkmalschutz vor allem zwei Punkte: Zum einen ärgern sich Goslarer, die historische Gebäude besitzen, darüber, dass bisher weiße Fenster nun laut Vorgaben verpflichtend dunkle Fensterrahmen bekommen müssen – auch wenn ein Haus, das 40 weiße Fenster hat, nun plötzlich zwei dunkle bekommen soll, was die Bewohner als ausgesprochen hässlich empfinden. Zum anderen sind Hausbesitzer verärgert über die Vorschrift, dass neue Fenster nach außen öffnen sollen. Die Bewohner sind besorgt, dass dann das Fensterputzen gefährlich werden kann. Mehrere Hausbesitzer haben inzwischen erklärt, dass sie ihre Immobilien lieber verfallen lassen wollen, als sich den Bestimmungen des Denkmalschutzes zu beugen.

    Fenster als "historische Dokumente"

    Was hat es mit den Fensterregeln auf sich? Weidner stellt das Vorgehen bei der Bewertung folgendermaßen dar: Fenster, die noch ganz von der vorindustriellen Technik bestimmt sind, würden betrachtet als „historische Dokumente, die es unbedingt zu erhalten gilt – durch Reparatur beziehungsweise Restaurierung. Erst wenn dieses überhaupt nicht realisiert werden kann aus technischen, funktionalen beziehungsweise wirtschaftlichen Gründen, ergibt sich die Notwendigkeit von einer Neuanfertigung, die in möglichst vielen Aspekten nah am abgängigen Original bleiben sollte.“
    Sanierung im 20. Jahrhundert

    Anders aber liege der Fall bei Fenstern, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgetauscht worden sind. Hier werde „einer abermaligen Erneuerung wenig entgegenzusetzen sein, wenn sich dabei keine ins Gewicht fallenden Veränderungen der Ansichten führt“, so Weidner. Ins Gewicht fallende Veränderungen könnten sein: zu breite Rahmen, veränderte Profilierungen und geänderte Teilung der Fensteröffnungen. Aber: „Schon der Austausch von normalen Scheiben mit äußeren Kittfalzen gegen Thermopenscheiben, die mit inneren Leisten befestigt werden, führten zu manchmal beachtlichen Verschiebungen der Gesamtfassadenproportionen und natürlich zum Wegfall der typischen technischen Details historischer Fenster.“ Für die Lösung solcher Fragen gebe es einen erprobten Katalog unterschiedlicher Lösungen, über die im Einzelfall entschieden werden muss.
    Teure weiße Fensterfarbe mit Bleipigment

    Zur Frage der geforderten dunklen beziehungsweise bunten Fenster stellt Weidner fest: „Weiße Fenster gibt es tatsächlich erst seit 120 bis 140 Jahren. Weiße Fensteranstriche waren vor der Zeit industrieller Farbenherstellung sehr teuer und wurden daher bei einfachen Bürgerbauten eigentlich nie verwandt.“

    Erst als das historische und letztlich auch giftige Bleipigment durch moderne Farben abgelöst wurde, habe sich Weiß als gängige Fensterfarbe durchsetzen können. Erst recht, als weiße Kunststofffenster immer häufiger verwandt wurden. „Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren demnach die Fenster insbesondere von bedeutungsvolleren Bauten bestimmt von ihrer besonderen Materialfarbigkeit – Mahagoni war ein beliebtes, wenn auch teures Fenstermaterial – oder einer wechselnden farbigen Fassung“, sagt der Experte. Oft habe die natürliche Farbe des Holzes eine Rolle gespielt, so gab es Fenster in Sandtönen über Ocker und von Rottönen bis Tiefbraun. Einfache Fenster wurden meist auch nur geölt, was zu zunehmend dunkler Tönung führte. Weidners Fazit: „Also, will man einem neuen Fenster ein bisschen den Eindruck von Historie geben, sollte von einem weißen Anstrich abgesehen werden.“
    Historisch belegt: Fenster öffnen nach außen

    Auch die Forderung des Denkmalschutzes nach Fenstern, die nach außen öffnen, habe historische Gründe. Im Fachwerkbau habe man früher die Fensterflügel oft ohne Fensterrahmen direkt an die Ständer oder entsprechende Pfosten montiert. Sie lagen dann in einer Ebene mit der Fachwerkaußenfläche und konnten nur nach außen geöffnet werden. „Diese Öffnungsform verstärkte im windreichen Norden zudem auch die Fensterdichtung durch den Winddruck von außen“, erklärt Weidner und fügt hinzu: „Noch vor 50 Jahren hat diese Tradition zumal in der warmen Jahreszeit ganz besondere Straßenbilder mit den durch die offenen Flügel reizvoll bespielten Fassaden erzeugt.“
    Gefahren beim Fensterputzen

    Zur Gefährlichkeit und zu den Sorgen der Hausbesitzer räumt er ein: „Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dies unter heutigen Sicherheits-Standards bei größeren Fenstern nicht unproblematisch ist.“ Allerdings will er doch an dieser Öffnungsrichtung, so weit möglich, festhalten: „Trotzdem sollte man Beispiele dieses für den Fachwerkbau typischen Details, wo auch immer noch nachweisbar, soweit es geht und vertretbar ist, erhalten“, rät der Fachmann.
    Denkmalpflege ohne Regelkatalog

    In der Denkmalpflege gebe es keinen Regelkatalog, sagt der Icomos-Experte. „Die Richtlinie ergibt sich aus dem Bewertungszusammenhang jedes Denkmalteiles.“ Daher müsse in jedem Einzelfall die Begründung für Auflagen aus dem Kontext heraus gefunden und dargelegt werden. „Sprossenfenster ja oder nein?“, die Frage sei „ohne realen Bezug von der Denkmalpflege nicht zu beantworten.“ Gerade die Diskussion und das Gespräch miteinander seien in diesen Fragen sehr wichtig: „Es muss geredet, vielleicht auch gestritten und gerechnet werden. Dabei gibt es wie häufig so vor allem im Denkmalkontext keinen Anspruch auf die billigste Lösung.“
    Möglichkeiten zum Energiesparen in Baudenkmalen?

    Auch die Denkmalpfleger beschäftige das Thema, welchen Beitrag zur Einsparung und Ressourcenschonung von Baudenkmalen mit übernommen werden können. Weidner: „Da gibt es durchaus Möglichkeiten, aber leider häufig nicht an den Stellen, die gemeinhin als Ansatzmöglichkeiten zur Nachrüstung von bestehender Bausubstanz üblicherweise gesehen werden.“

    Denkmalpflegern sei „bereits von Sache her jedes normative Entscheiden fremd“, betont Weidner. „Die Diskussion wird, muss weitergehen.“

  2. Danke von:

    Andreas (19.04.2022),Bergmönch (23.02.2022),nobby (23.02.2022),Speedy (27.02.2022)

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