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Thema: Goslar während der Nazi-Zeit

Baum-Darstellung

  1. #6
    Schießhauer Avatar von AlterSchirm
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    Vielleicht sollten wir interessierten Laien hier mal wieder ein bisschen detailliertere Geschichte ergänzen. Nationalsozialismus in der Region ist leider ein dunkles und intensives Kapitel in der Goslar nicht unbedingt eine rühmliche Rolle gespielt hat. Teilweise sicherlich getrieben von einer außer Kontrolle geratenen Diktatur, aber auch in nicht geringem Maß aus Überzeugung der hier lebenden Bürger.

    Begonnen hatte die ganze Sache im Harz eigentlich mit der Tagung der Nationalen Opposition am 13.10.1931 in Bad Harzburg, dort schlossen sich die verschiedenen antirepublikanischen Gruppen zur nationalen Front zusammen, die letztlich im Januar 1933 zur Machtübernahme Hitlers führte, als er von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde.

    Während die Ortsgruppe der NSDAP, im Jahr 1924 gegründet, 1927 noch nahezu heimlich im Weißen Schwan ihre Zusammenkünfte abhielt, erhielt sie bei der Kommunalwahl 1930 fast ein Drittel der Stimmen, das war etwa das dreifache des Durchschnitts in ganz Deutschland. Die großen Versammlungen wurden jetzt im Kaisersaal (dem Odeontheater) abgehalten.

    In Goslar wurden am 12. März 1933 die Gemeindewahlen durchgeführt, die die NSDAP mit über 60% gewann. Es gab nur noch 8 Abgeordnete anderer Parteien. Gleich im Verlauf der ersten Sitzung des neu gewählten Gremiums wurde die Umbenennung der Rosentorstraße in Adolf-Hitler-Straße sowie der Klubgartenstraße in Hindenburgstraße beschlossen. Damit gehörte Goslar zu den Vorreitern in Deutschland. Der Sitz der NSDAP war jetzt im Haus Mauerstraße 24 – (ja, Uwe, genau gegenüber); später Polizeigebäude und vielleicht bald Seniorenresidenz?

    Um die Kontinuität der deutschen Geschichte als herrschendes Ariervolk zu unterstreichen, wurde Goslar als Kaiserstadt konsequent mit in die Propaganda einbezogen. Im Januar 1934 erklärte der in Argentinien geborene Reichsbauerführer Ricardo Walther Oscar Darré, der sich in Deutschland Richard Walther Darré nannte, Goslar zum Sitz des Reichsnährstandes. Goslar wurde damit die Schaltstelle der „Blut und Boden“ Propaganda der NSDAP.
    http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/ak200637/index.html
    Ab 1934 fanden im Herbst jeden Jahres 2 große Veranstaltungen in Goslar statt, nämlich die Rahmenfeierlichkeiten zum Erntedankfest (das Fest selber fand auf dem Bückeberg statt) zum Monatswechsel September / Oktober und der Reichsbauerntag im November. 1937 fiel diese Veranstaltung auf Grund der Maul- und Klauenseuche aus und ab 1939 wegen des Krieges.
    Nach der Feier des Erntedankfestes auf dem Bückeberg in der Nähe von Hameln im Jahr 1934 fuhr Hitler umgehend zu den Feierlichkeiten in Goslar, dabei entstand das oben verlinkte Foto mit Herrn Hitler vor der Kaiserpfalz. Zwei Jahre später wird die Stadt offiziell zur Reichsbauernstadt ernannt und das Dorf Jerstedt zum Reichmusterdorf erklärt.
    Eine besondere Anekdote ist, dass Hitler die Gemälde der Kaiserpfalz nicht gefielen, weil er sich gegenüber von Barbarossa et al. zu klein vorkam und diese in seiner Anwesenheit abgedeckt werden mussten.
    Um die Menschenmengen bei solchen Großveranstaltungen unter zu bringen wurde 1934 der Bau der Goslarhalle begonnen, deren Fotos oben zu sehen sind und die aus ungeklärter Ursache 1948 bis auf die Grundmauern abbrannte. Mit viel Suche kann man heute noch einige Reste zwischen den Bäumen und Büschen finden.
    Das Grabmal Darrés, der seine letzten Jahre in Bad Harzburg verbrachte, befindet sich auf dem Friedhof an der Hildesheimer Straße.

    Es gehörte zum Regime, dass bestimmte Menschen unterdrückt wurden. Dabei waren politische Gründe so gut wie rassistische. Noch heute gilt, dass ein gemeinsames Feindbild Menschen unterschiedlicher Gruppierungen vereinen kann. Dies machte man sich auch im dritten Reich zu Nutze.

    Der Weg dazu war ausgerechnet von einem Goslarer Bürger, Dr. Friedrich Lange, bereitet worden. Er war am 10.1.1852 in der Schielenstraße 5 geboren worden und gilt als der Urheber der Rassentheorie und des „reinen Deutschtums“ er gründete 1894 den „Deutschen Volksbund“ 1943 ließen die Nationalsozialisten zu seinem 25. Todestag eine Gedenktafel am Haus anbringen.

    In Goslar sichtbar wurde die Unmenschlichkeit der Rassentheorie, wie fast überall in Deutschland, an der Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Mitbürger. Schon in den 20er Jahren begann man den Hass auf jüdische Mitbürger zu schüren. In der GZ erschienen einige Artikel mit antijüdischen Inhalten. Unter den Bürgern tat sich besonders Heinrich Pieper, der Besitzer des Achtermannes hervor, der sich rühmte jüdischen Mitbürgern keine Unterkunft zu gewähren und der über seiner Eingangstür ein Schild „Vergesst nie den Schmachfrieden von Versailles“ anbrachte. (Siehe Bild aus dem Stadtarchiv).
    Systematisiert wurde die Verfolgung mit der Machtübernahme in Goslar. Zu dieser Zeit lebten etwa 50 jüdische Bürger in Goslar, die, solange es ging, der Stadt und dem Reich den Rücken kehrten. 1939, bei Kriegsbeginn, war die Zahl auf 22 geschrumpft und dies Zahl galt noch, als 1942 auf der Wannseekonferenz die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen wurde.
    Anfang 1934 hatte die Stadt das alte Hirtenhaus am Trollmönch gekauft, um es wegen des schlechten baulichen Zustandes und vor allem weil es in die Glockengießerstraße hineinragte und den Verkehr erheblich behinderte, abreißen zu können.
    Dies war 1942 aus Kostengründen noch nicht geschehen und so erschien das halb verfallene Haus als geeignete Kasernierungsstelle für jüdische Mitbürger, bis zu deren Abtransport. Teilweise lebten 10 Personen auf den knapp 25 m² Wohnfläche des Goslarer „Judenhauses“ - und mussten dafür auch noch Miete an die Stadtkasse zahlen. Die letzte Deportation nach Theresienstadt fand erst wenige Wochen vor Kriegsende am 19. Februar 1945 statt. Insgesamt starben 21 Goslarer Juden durch die Gewalt der Nazi-Diktatur. Ihre Namen und auch die einiger Überlegender sind seit dem 9. November 1988 auf der Gedenktafel am Trollmönch nachzulesen.

    Nach der Übernahme der Macht sollten auch politische Gegner mundtot gemacht werden. Nachdem am 28. Februar 1933 die KPD verboten und in den Untergrund gedrängt wurde, kam es im September 1933 zu einer Verhaftungswelle von 25 Mitgliedern der KPD, die allesamt angesehene Goslarer Bürger waren. Diese saßen zunächst im Gefängnis des Amtsgerichts ein, bis sie unter der Anklage des Hochverrats nach Berlin überstellt wurden.

    Mit dem Ausbruch des Krieges und der Unterdrückung der besiegten Nationen kam eine weitere Facette der brutalen Unmenschlichkeit des Rassismus zum tragen. Hunderttausende Menschen wurden aus ihrer Heimat zur Zwangsarbeit in Lagern eingepfercht und hausten unter elenden Bedingungen oft unterernährt in Behelfsunterkünften. In nahezu allen größeren Betrieben in und um Goslar gehörte Zwangsarbeit zur Tagesordnung; allein im Rammelsberg im Lauf der Jahre etwa 5000 Personen. Die Lager waren meist außerhalb der Stadt, nur die Ostarbeiterinnen der Greifwerke wohnten in der Zehntstraße 6 und der Bergstraße 2 unter vergleichsweise guten Bedingungen.

    Im Zusammenhang mit der Zwangsarbeit muss auch noch der sogenannte Todesmarsch von der V2 Produktionsstätte Mittelbau Dora zum Bahnhof in Oker genannt werden, bei dem praktisch zum Kriegsende, am 8. April 1945, die letzten 3500 noch „gehfähigen“ Häftlinge mit Waffengewalt und Peitschenhieben von Osterode, wo der Eisenbahnzug liegengeblieben war, über den Harz getrieben wurden. Wer nicht mehr gehen konnte wurde erschossen oder erschlagen und liegen gelassen, genau so wie die, die in der kalten Nacht erfroren. Es ist nicht genau bekannt, wie viele den Bahnhof in Oker noch erreichten. Dort wurden sie wieder zu je mindestens 80 Personen in Güterwagons eingesperrt nach Gardelegen transportiert, wo die, die die tagelange Fahrt ohne Wasser und Brot überlebten, in der Isenschnibber Feldscheune bei Gardelegen am 13. April 1945 auf benzingetränktem Stroh zusammengepfercht und entweder erschossen oder lebendig verbrannt wurden. Nur 25 Menschen haben die Todesmärsche, der über Oker war nicht der einzige, nach Gardelegen überlebt und wurden knapp 24h später durch die US Armee befreit.
    Miniaturansichten angehängter Grafiken Miniaturansichten angehängter Grafiken Achtermann 1920.jpg   Gedenktafel Judenhaus.jpg  
    Geändert von AlterSchirm (22.12.2011 um 11:40 Uhr)
    Alles Liebe
    Jan

  2. Danke von:

    Andre Immenroth (09.01.2015),Andreas (22.02.2015),blueshark (16.09.2020),Justus (17.07.2023),Sperber (31.01.2017),Susanne-K. (16.12.2013),zeitzeuge (23.02.2015)

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